Historie, Struktur und Gegenwart der Sammlung Industrielle Gestaltung
Die Vorgeschichte der Sammlung Industrielle Gestaltung reicht bis in das Jahr 1950 zurück. Der niederländische Architekt und Formgestalter Mart Stam gründete in diesem Jahr – als Direktor der „Hochschule für angewandte Kunst“ in Berlin-Weißensee – das „Institut für industrielle Gestaltung“, dessen Sitz sich in Berlin-Mitte, Clara-Zetkin-Straße 28 befand. Aufgabe des Institutes war es, eine „Qualifizierung der Produkte des Massenbedarfs zu erreichen und somit das allgemeine kulturelle Niveau zu heben.“ (Mart Stam, August 1950). Und weiter heißt es dort: „Das Institut ist zu betrachten als die zentrale Stelle, welche einerseits Forschungs- und Entwicklungsarbeit auswertet, andererseits Entwurfs- und Entwicklungstätigkeit leistet, fördert und koordiniert,…“. Um eine Breitenwirkung zu erreichen, sollten am Institut ein „Foto-Archiv“, eine „Mustersammlung hervorragender deutscher Industrieerzeugnisse“ und solcher aus der „Sowjetunion und den Volksdemokratischen Ländern“ entstehen sowie ein „Warenkatalog“ herausgegeben werden. (Mart Stam, Programm des „Instituts für Industrielle Gestaltung“, August 1950 in: Ebert, Hiltrudt (Hrsg.): Drei Kapitel Weißensee. Dokumente zur Geschichte der Kunsthochschule Berlin-Weißensee 1946 bis 1957, Berlin 1996)
Am Institut wurden in der Folge die Ergebnisse der hauseigenen Entwurfsarbeit dokumentiert sowie jene Produkte bewahrt, die zwecks Durchführung von Ausstellungen herangeholt worden waren. Mit dem Anwachsen der Bestände erfolgte seit 1953 deren Inventarisierung.
Der Amtsantritt Mart Stams an der Weißenseer Kunsthochschule stand unter höchst ungünstigen Vorzeichen. Bereits in Dresden als „spezifisch reformistisch bauhausartig“ denunziert, geriet er mit seiner funktionalistischen und zutiefst sozial verpflichteten Gestaltungskonzeption zunehmend unter das Verdikt des Formalismusvorwurfs von Partei- und Staatsführung. In dessen Konsequenz wurde zunächst das Institut von der Kunsthochschule abgetrennt, im September 1952 erhielt Mart Stam Hausverbot und wurde beurlaubt, 1953 verlässt er mit seiner Frau Olga die DDR.
Das Institut wurde 1952 der Staatlichen Kommission für Kulturangelegenheiten – ab 1953 dem Ministerium für Kultur – unterstellt und gemäß der offiziellen ideologischen Kunstdoktrin in den verpflichtenden Rahmen von nationalen Traditionen, insbesondere Klassizismus und Volkskunst gestellt. Zum neuen Direktor wurde der Grafiker Walter Heisig bestellt und das Institut in „Institut für angewandte Kunst“ umbenannt.
Die Anfang der 1950er Jahre einsetzende Ausstellungstätigkeit erreichte in den 1960er Jahren einen ersten Höhepunkt mit den großen Wanderausstellungen, die in allen sozialistischen Ländern gezeigt wurden und dort nicht nur zur Förderung des Industriedesigns beitrugen, sondern auch die Sicht auf die avantgardistischen Designleistungen aus den Borniertheiten der Formalismusverunglimpfungen herausführten. Die Bedingungen dieser Ausstellungspraxis sowie eine Ausstellungsästhetik, die Objekte zumeist offen und außerhalb von Vitrinen zeigte, führte zu einer Reihe von Verlusten an den Exponaten.
In den 1960er Jahren erfolgten mit der Übertragung von staatlichen Aufgaben der Anleitung und Kontrolle an das Institut weitere Umbenennungen (1963 in Zentralinstitut für Formgestaltung, 1965 in Zentralinstitut für Gestaltung), die dessen Umstrukturierung einschlossen. Die Entwicklung mündete 1972 in die Umgestaltung zu einem Amt für industrielle Formgestaltung (AiF), das nun weniger beratend als anleitend und kontrollierend tätig war. Gleichzeitig übernahm das AiF die zentrale Öffentlichkeitsarbeit für das Industriedesign der DDR und bewarb es mit Publikationen und Ausstellungen.
1984 übernahm Hein Köster, der als Chefredakteur der Designfachzeitschrift form+zweck wegen einer Reihe kritischer Beiträge (insonderheit wegen des „Prenzlauer Berg-Heftes“) abberufen wurde, die Leitung der Sammlung. Die im Verlauf von Jahrzehnten angelegte Objektsammlung konnte sich im Rahmen des 1987 gegründeten „Designzentrum der DDR“ erstmals öffentlich mit eigenem Namen präsentieren – „Sammlung industrielle Gestaltung“ (SiG) – sowie ein eigenes Signet führen. In den Räumen des AiF (in der Clara-Zetkin-Straße 28 in Berlin-Mitte) erhielt die Sammlung einen Galerieraum, wo sie 14 kleinere Ausstellungen bis 1990 zeigte und sich an Ausstellungen des AiF mit eigenen Beiträgen beteiligte, beispielsweise an der Ausstellung „Design in der DDR“, die 1988 im Design Center Stuttgart stattfand.
Mit der Abwicklung der zentralen Staatsorgane der DDR änderte sich 1990 auch die Situation der Sammlung von Grund auf. Da das Amt für industrielle Formgestaltung als staatliche Einrichtung an den Ministerrat der DDR angeschlossen war, fiel die Sammlung an das Bundeswirtschaftsministerium, ebenso wie die Fotothek und die Bibliothek des AiF. Das Wirtschaftsministerium plante zunächst, die Bestände an den westdeutschen Rat für Formgebung in Frankfurt/Main zu überführen. Doch der damalige Leiter der Sammlung, Hein Köster, und die Stiftung Industrie- und Alltagskultur wehrten sich erfolgreich gegen den Abtransport. Sie traten dafür ein, die Sammlung industrielle Gestaltung als Museum der Formgestaltung der SBZ und DDR zu profilieren und als Ganzes zu erhalten.
Noch im gleichen Jahr übertrug das Wirtschaftsministerium die Sammlung, die Fotothek und die Bibliothek an den Berliner Senat, der sie transitorisch dem Märkischen Museum angliederte. 1993 bezog die Sammlung ihr neues Domizil in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg. Dort eröffnete sie im Mai 1994 die erste von zahlreichen Wechselausstellungen.
1995 wurde die Sammlung industrielle Gestaltung mit anderen Museen in die Stiftung Stadtmuseum Berlin zusammengeführt, blieb aber als Sondersammlung weitgehend eigenständig – mit eigenem, vom Berliner Senat beschlossenen Etat.
1997 erhalten die Sammlung industrielle Gestaltung und die Stiftung Industrie- und Alltagskultur neue gemeinsame Signets unter Verwendung des Motivs einer Faltgrafik des konstruktivistischen Künstlers Hermann Glöckner. >> Chronik
Die Genehmigung hierzu erteilt die Hermann Glöckner Nachlassverwaltung in Dresden.
2001 wechselte die Trägerschaft der Sammlung industrielle Gestaltung erneut: Das Deutsche Historische Museum (DHM) übernahm die Sammlung unter Wahrung ihres Sonderstatus.
Doch schon vier Jahre später wurde sie dort wieder ausgegliedert: 2005 wurde die Rechtsträgerschaft für die Sammlung industrielle Gestaltung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn übertragen.
Mit Unterstützung der Stiftung Industrie- und Alltagskultur konnte die Sammlung ihre Objektbestände seit 1990 um ein Vielfaches erweitern – durch Schenkungen, Ankäufe und Übertragungen sowie aus Beständen anderer ehemaliger DDR-Einrichtungen. Und viele dieser Objekte wurden bisher der Öffentlichkeit präsentiert: Zwischen 1994 und 2005 zeigte die SiG – unter der Leitung Hein Kösters – zahlreiche Ausstellungen in ihren Räumen in der Kulturbrauerei und andernorts. >> Ausstellungen
Seit ihrer Gründung blieb die Sammlung der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bis 2005 eng verbunden: Eine Exkursion in die Sammlung war in der Ausbildung der Produktdesign-Studenten obligatorisch. Die Studenten erhielten Zugang zu den Depots der Sammlung und nutzten die Bibliothek. Ausgewählte Produkte aus dem Sammlungsbestand wurden in der Lehre für Produktanalysen verwendet.
Mit der Übernahme der Sammlung Industrielle Gestaltung (nun mit großgeschriebenem I) durch die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bonn wurden die Ausstellungsräume geschlossen.
Hein Köster schied im Frühjahr 2005 mit Erreichen der Altersgrenze aus dem Museum aus.
Die Mitarbeiter sind derzeit damit befasst, die Bestände systematisch zu dokumentieren, teils auch zu restaurieren. Wissenschaftliche Leiterin der Sammlung Industrielle Gestaltung war von Februar 2008 bis September 2012 die Kunsthistorikerin Dr. phil. Johanna Sänger.
Für voraussichtlich 2014 plant die Stiftung Haus der Geschichte in der Kulturbrauerei die Eröffnung einer Dauerausstellung im Rahmen des Gedenkstättenkonzeptes.
>> siehe auch Chronik der Stiftung Industrie- und Alltagskultur
>> Leiter der Sammlung Hein Köster, Dr. Johanna Sänger
Innenhof, Amt für industrielle Formgestaltung, ab 1987 Designzentrum der DDR, Berlin-Mitte, Clara-Zetkin-Str. 28 heute Dorotheenstrasse, Architekt Paul Spieker, 1870-1874
Außenschild „Hochschule für angewandte Kunst. Institut für industrielle Gestaltung“, im Jahre 2000 aus dem Kreuzberger Kunsthandel erworben; Foto: Hein Köster
Signet der Hochschule für angewandte Kunst (links) und des Instituts für industrielle Gestaltung (rechts). Entwurf: vermutlich Mart Stam, 1950. Die grafische Verwandtschaft beider Signets entspricht dem Umstand, dass das Institut als Forschungs- und Entwicklungsstelle der Hochschule errichtet wurde.
Ausstellung „Hermann Glöckner. Zum 100. Geburtstag“, 1989, Foto: Ulrich Wüst
Signets des Designzentrums der DDR seit 1987; Entwurf: Dietrich Otte; links und Mitte: Leitung, allgemeiner Geschäftsverkehr; rechts: Sammlung industrielle Gestaltung
Studiogalerie im Designzentrum, Ausstellung Wilhelm Wagenfeld, 1987; Foto: Andreas Stirl
Faltgrafik „Schwarzer und roter Haken, horizontal“, 1971 (Die Bezeichnung des Blattes ist in der Literatur unterschiedlich, ebenso die Jahresangabe.) Daraus entstand das auf dem Quadrat aufbauende Signet der Sammlung, das mit der Einladung zur Ausstellung „Dieses Museum muß verhindert werden!“ eingeführt wurde.; Foto: Hein Köster
Außenschild der Sammlung auf der Kulturbrauerei nach Abschluß der Sanierungsarbeiten, 2001; Gestaltung: Graphikbüro Sebastian Köpcke, Thomas Gubig; Fotos: Hein Köster